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Der Vorratsschrank Von Hamstern, Eichhörnchen und Omas Marmelade

Mittwoch, 18. November 2020

Für ungewisse Zeiten sollte man sich vorbereiten. Das unterscheidet den Mensch vom Tier, bringt es bei manch Einem aber auch hervor. Denn der Vorrat ist bei einigen Tierarten tief verwurzelt: Eichhörnchen sammeln Nüsse, manche Maulwürfe bunkern lebendige Regenwürmer, Hamster sammeln bis zu 50 kg Getreide in ihren Speichern an. Eine äußerst geeignete Metapher für das Horten von Lebensmitteln also.

Mit den weltweiten Lockdowns in diesem Jahr begannen auch die Menschen sich mit dem Nötigsten einzudecken. Was hier und da als das Nötigste galt, war durchaus spannend zu beobachten: Kondome und Wein in Frankreich, Waffen in den USA, Nudeln und Toilettenpapier in Deutschland. Aber von vorn.

Schon als der Mensch sich auf seine Hinterbeine stellte, häufte er Dinge an. Darauf weisen frühe Ausgrabungen von Feuerutensilien, Pfeilspitzen und Nadeln hin. Ganz wie Maulwürfe legte der frühe Mensch auch einen Lebendvorrat an. Wissenschaftler*innen gehen davon aus, dass die Domestikation von Vieh die älteste Form der Bevorratung ist. Es begann eine regelrechte Bevorratungs-Revolution bis hin zur Entwicklung von Hirten- und Bauernkulturen.

Vorräte brachten Vorteile 

Vorräte anzulegen war nicht nur praktisch, um periodische Mängel auszugleichen, richtige Lagerung wurde essentiell für das Überleben. Ein weiterer Vorteil: Statt sich tagtäglich eine ausreichende Kalorienzufuhr zusammenzusammeln, hatte der Mensch nun Zeit, sich um wichtigere Dinge zu kümmern. Um Philosophie etwa, den Bau riesiger Gotteshäuser, die Dokumentation des Besitzes. Der Vorratshaltung haben wir es also eventuell zu verdanken, dass die menschliche Spezies sich heute mit Wissenschaft, Kultur und Technik auseinandersetzt, statt mit Fressen und Fortpflanzung.

Das Modell bringt aber ein Problem mit sich: Ernten fallen nicht immer gleich aus. Man muss also langfristig planen. Und tatsächlich gehen die ersten Schriften und Staatsgründungen wohl auf Vorrats-Management zurück. Bereits in der Bibel rät Josef dem Pharao in sieben fetten Jahren Rücklagen zu bilden, dank derer in den folgenden Jahren eine Hungersnot abgewendet wird.

Ein kultureller Umbruch

Bis ins 19. Jahrhundert hinein war das Einlagern von Vorräten selbstverständlich. Dann kam die industrielle Revolution: Mangelnder Platz durch die Urbanisierung und der Supermarkt mitsamt globaler Lieferketten sorgten dafür, dass wir heute vor allem für den Direktverzehr einkaufen. Seit Jahrzehnten ist Alles zu jeder Zeit im Supermarkt verfügbar: frische Erdbeeren im Januar? Ja bitte. Warum also ameisenartiges Sammeln, wenn man musizieren kann.

Nicht einmal die Gefahr eines möglichen Atomkriegs konnte das ändern. Als Aktion Eichhörnchen bewarb das Bundesamt für Bevölkerungsschutz in den 60er Jahren den heimischen Notvorrat. Mit wenig Erfolg; was nutzen auch Erbsen und Möhrchen im Glas bei einer Atomexplosion. Das Projekt wurde ad acta gelegt.

Bis heute empfiehlt das Bundesamt aber einen Vorrat für etwa 10 Tage daheim zu haben. Und bis heute lagert es eine Bundesnotfallreserve mit Getreide, Reis, Erbsen und Co. Im Privathaushalt hingegen sind Speisekammer und Vorratskeller heute einem Schrank gewichen, in dem gegebenenfalls noch ein paar Tütensuppen und Gewürze lagern… Doch dann kam das Jahr 2020.

Die Hamsternatur des Menschen

Hinsichtlich seiner Angst vor Ressourcenmangel ist der Mensch nämlich ein Urtier. Der Überlebensinstinkt steckt uns tief in den Genen, doch den Umgang damit hat er verlernt. Hamsterkäufe zeigen: Während Oma noch wusste, wie man frische Erdbeeren für den Winter einweckt und überhaupt einen sinnvollen Vorrat anlegt, wissen dies heute nur noch wenige. Und weil Menschen sich an dem Verhalten ihrer Umgebung orientieren, greifen sie zu dem, was andere vor ihnen kauften: Nudeln und Klopapier etwa.

Ohne sich zu fragen, ob man jeweils acht Pakete von beidem zuhause braucht. Was nämlich wenig Sinn ergibt, ist eine Vorratshaltung, wenn man viel bestellt oder es übertreibt. Ein Notvorrat ist nämlich sehr individuell. Wozu schließlich Reis und Bohnen bunkern, wenn man lieber Kartoffeln und Erbsen isst?

Wer aber einen klugen Vorrat anlegt, spart Geld und vermeidet Lebensmittelverschwendung. Wichtig ist vor allem: Vorräte sind nicht endgültig – man sollte gerade nicht hamstern, sondern kontinuierlich verbrauchen und auffüllen. Tatsächlich ist das Auffüllen von selbstgemachtem heute wieder in Mode. In den nobelsten Restaurantküchen finden sich – auch Corona-unabhägig – eingeweckte Kirschen, sauer eingelegtes Gemüse und von Hand fermentierter Kohl.

Die Rückbesinnung der Sterneküchen auf saisonale und lokale Küche wie dem Nobelhart & Schmutzig oder dem Einsunternull regt schließlich die Kreativität an. Und sowieso sind viele der Lebensmittel, die wir eh lieben vor allem aus der Vorratshaltung entstanden: Räucherschinken etwa, Käse oder Saure Gürkchen. Vielleicht bewirkt die viele Zeit Zuhause und der Überfluss des späten Kapitalismus ja genau das: die Hinwendung zu Omas Rezept für Erdbeermarmelade und einem Schrank voller Einweckgläser.

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