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Nähe und Distanz Bis das Glas überläuft

Mittwoch, 28. August 2024
Advertorial

Über die Autorin

Zoë Schlär ist seit fast 20 Jahren Mediatorin und versteht sich als Übersetzerin in Konfliktsituationen – sowohl im Beruflichen als auch im Privaten. Zudem ist sie Ausbilderin für Mediation, Trainerin und Systemischer Businesscoach. Für Creme Guides schreibt sie über festgefahrene Situationen, neue Begegnungsräume und das gegenseitige Verstehen, um nachhaltige Veränderung zu erreichen.

Nähe und Distanz – zwei Worte, die den Kern unserer zwischenmenschlichen Beziehungen fassen und dabei so einfach wie komplex sind. Wir alle bewegen uns in einem stetigen Tanz zwischen diesen Polen, mal einfühlsam, mal unbeholfen, mal mit ausladenden Bewegungen, mal mit zögerlichem Schritt. Es ist eine Choreografie, die wir jeden Tag neu erfinden, ohne dass uns jemand je richtig beigebracht hat, wie. Wie können wir miteinander umgehen, wenn wir unterschiedliche Bedürfnisse nach Nähe und Distanz haben?

In der heutigen Zeit wird dieser Tanz immer schwieriger. Die Grenzen zwischen Nähe und Distanz sind fließend geworden, verschwimmen in einem Nebel aus digitaler Verbundenheit und physischer Abwesenheit. Wir können uns gleichzeitig näher und weiter entfernt fühlen als je zuvor. Ein Zoom-Call verbindet uns über Kontinente hinweg, und doch spüren wir die Distanz durch den Bildschirm, egal wie gut unsere Internetverbindung auch ist – sie umfasst nicht alle Sinne.

Nähe und Distanz – bis das Glas überläuft

Wir brauchen alle Nähe. Nur einige brauchen mehr davon, und anderen scheint es oft zu viel zu sein. Dabei ist Nähe nicht räumlich zu begreifen. Es ist das Gefühl, verstanden zu werden, ohne viele Worte, die Hand des anderen zu spüren, selbst wenn sie nicht physisch greifbar ist. Es ist das leise „Ich bin da“, das in einem Blick, einem Lächeln, einer winzigen Geste liegt. Doch genauso kann Nähe erdrücken. Sie kann das Gefühl vermitteln, sich selbst zu verlieren, in der Umarmung des anderen zu ersticken, weil die eigene Luft zu knapp wird.

Erinnern wir uns an Hanna und Viktor. Hanna tut es gut, sich auszutauschen, Viktor zu berühren und möglichst viel Zeit mit ihm zu verbringen. Viktor ist gern für sich, mit seinen Gedanken, und braucht Ruhe und Abstand. Zu viel Kontakt verursacht bei ihm Stress und führt regelrecht zu einem psychischen und physischen Unbehagen. Auch wenn er sich viel Mühe geben würde, er braucht seinen Raum, um gesund zu bleiben. Viktor braucht von Hanna die Akzeptanz, denn er kann sein Bedürfnis nach Distanz sonst nicht erfüllen. Für Hanna bedeutet dies, den Raum zu geben, auch wenn sie gern mehr hätte, denn sie hat die Möglichkeit, ihr Bedürfnis nach Nähe und Kontakt auf andere Weise zu erfüllen – auch ohne Viktor.

Ich nutze gern das Bild von unterschiedlich großen Bedürfnisgläsern: Das Glas von Hanna ist sehr groß und das von Viktor eher klein. Wenn sie nun gleich viel Kontakt in die Gläser schütten, ist das Glas von Viktor schnell voll und droht überzulaufen, während das Glas von Hanna vielleicht erst zur Hälfte gefüllt ist. Viktor kann aber nicht mehr Kontakt aufnehmen, doch Hanna kann sich überlegen: Ist ihr Glas halb leer oder halb voll und wie kann sie ihr Glas anders auffüllen?

Es gibt hier keine einfache Lösung, kein Patentrezept für den richtigen Umgang mit Nähe und Distanz. Es bleibt nichts anderes, als sensibel zu sein, auf die kleinen Signale zu achten, die unsere Mitmenschen uns senden, und die Grenzen der anderen zu akzeptieren. Das gilt im Privaten genauso wie im Büro, denn auch hier können wir erkennen, dass die Gläser unserer Kolleginnen und Kollegen alle unterschiedlich groß, hoch und breit sind. Es ist hilfreich, wenn wir wissen, wie groß unsere Gläser sind und wie wir damit umgehen wollen.

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