Momentan sind ja alle irgendwie kleinere oder größere Bundestrainer. Anstatt das bessere Wissen auf das Fachgebiet des tatsächlichen einen und einzigen Nagelsmann zu projizieren, bietet sich doch an, eine Nationalmannschaft des eigenen Fachgebiets zu nominieren. Ich für meinen Teil denke an eine Nationalelf der Sportreportage. Nach kurzem Nachdenken ist Marcel Reif als Bundestrainer der Sportjournalisten berufen und auch eine echte lebende Legende ist ausgemacht: Javier Cáceres, eine Art Toni Kroos des Sportjournalismus.
Ihm zu Ehren könnte man so weit gehen zu sagen: Lieber am Montag den Sportteil der Süddeutschen Zeitung lesen als am Wochenende die Übertragung schauen. Cáceres‘ Perspektiven aufs Geschehen, seine Ordnungen und Erzählkniffe sind so schön, dass es wirklich ein Vergnügen für sich ist, diese Texte zu lesen.
Doch er wäre nicht der Toni Kroos-Artige Schreiber, würde er nun pünktlich zur EM einen Prachtband gesammelter Texte herausgeben. Nein, Cáceres ist ebenso bescheiden und beschenkt uns Fußballfans mit einem besonderen Langzeitprojekt. Seit Jahren bittet er bei Interviews Spieler darum, den Weg zu einem ihrer bedeutsamen Tore zu zeichnen und zu beschreiben. Nun hat er seine Notizbücher durchforstet und legt eine Sammlung dieser Zeichnungen von Fußballern vor.
Man sieht viele Strichmännchen, viele Kreise, viele Kästen - in gewisser Weise ähneln sich die Zeichnungen, sehen auf den ersten Blick alle gleich aus. Und dann werden doch große Unterschiede sichtbar, mal steht einer direkt vor dem Tor, mal läuft er über den ganzen Platz; mal ist ein Tor riesengroß, dann wieder viel viel kleiner als der Ball.
Hier ist immer Tempo drin im Strich, denn Zeit haben Profifußballer nicht – und auch nicht unbedingt ein großes Zeichentalent (auch die hier zeichnenden Frauen sind davon nicht ausgenommen). Darum ist die Skizze jeweils durch eine Selbstauskunft ergänzt. Die sehr klare Erinnerung an diesen Moment, an dieses eine Tor, eint all die gesammelten Momente.
Jede Zeichnung zeugt von der tiefen Prägung, die der Moment eines Treffers erzeugt. Die exakte Position auf dem Feld im Verhältnis zum Tor, der Standpunkt des Torwarts sowie der Gegenspieler, die Flugkurve des Balls – auch nach Jahren haben die Spieler diese Koordinaten noch exakt in Erinnerung. Und besteht darin nicht die eigentliche Schönheit dieses Sports, in der Konzentration auf den Moment, auf das Spiel, in der absoluten Verdichtung der Zeit?
Javier Cáceres, der Toni Kroos der Sportreportage, hat mit diesem Buch etwas fast schon Ehrbares geschaffen, er hat sich in den Dienst des Sports gestellt und lenkt unseren Fokus kurz vor dieser Europameisterschaft wieder fort von den Funktionären, fort vom großen Geld und herbeigeredeter Legendbildung, wieder dorthin, wo die Begeisterung wohnt, im Spiel und in der Ekstase.