Es gibt ja den Trost durch Lesen. Wobei literarischer Trost nicht in aphoristischen Ratschlägen oder gar in der auf Witz zielenden Verballhornung von lastenden Ereignissen besteht. Der echte Lesetrost ist vielmehr eine prägnante Formulierung, ein Sich-im-lesen-erkannt-fühlen, ein Zusammenbringen von bisher Undurchdachtem und Ungefühltem.
Der italienische Autor Paolo Giordano ist ein solcher literarischer Lesetröster. Sein jüngst erschienener Roman „Tasmanien“ ist der radikal gegenwärtigste Roman, den ich in den letzten Jahren gelesen habe. Für alle Diejenigen, die in ihren 30ern, 40ern oder 50ern stecken, bietet Giordano ein ungeheuer reiches Füllhorn an Themen, Motiven und Identifikationen. Schon darin steckt so viel Gegenwart, sind wir doch alle umstellt von Eindrücken, Einflüssen und Einreden.
Die Story kreist um den Journalisten und Autoren Paolo, dessen Ehe ins kriseln geraten ist, nachdem seine Frau entschieden hat, die jahrelangen vergeblichen Versuche der Erfüllung eines Kinderwunschs zu beenden. – Plötzlich fallen alle Zukunftsvorstellungen, alle Lebensentwürfe Paolos in sich zusammen.
Zur Ablenkung beschließt er kurzerhand dienstlich auf die Pariser Klimakonferenz zu reisen, obwohl er von diesem Thema alles andere als begeistert ist: „Umwelt war ein langweiliges Thema. Langsam, ohne Handlung oder Spannungsbogen, abgesehen von den eventuell auftretenden Zwischenfällen. Dafür überfrachtet mit guten Absichten. Das war das verborgene Problem der Klimakatastrophe: die grausame Langeweile.“
Es geht hier keineswegs darum, sich als Leserin oder Leser auf die Seite von Klimaleugnern oder Aktivisten zu stellen, vielmehr bildet Giordano eine gewisse Müdigkeit, Überforderung und Unverbundenheit ab. Als eine zeitgemäße Form der Paartherapie jetten er und seine Frau direkt im Anschluss in die Karibik, denn – so „die westliche Weisheit“ -, „es gab keinen Schmerz, (…) den eine Woche in den Tropen nicht beheben konnte.“
Allein an diesem Beispiel der Handlungszusammenhänge zeigt sich der frische Mut des Paolo Giordano, unsere Gegenwart aufzuspießen. Mitunter ist er bissig gegen die Selbsttäuschungen des westlichen Lebensstils, dann wieder ganz emphatisch mit der Verlorenheit seines Helden Paolo oder er ist eben ein wilder Denker, der scheinbar abseitige Phänomene versucht zusammen zu bringen.
„Tasmanien“ ist kein diskursiver Schlagzeilenroman, sondern ein motivisches Netz, dass durch seine Lebensnähe und gleichzeitige intellektuelle Weitschweifigkeit besticht. Einzelne Motive hier aufzuzählen, hätte allein den Effekt der Unfassbarkeit, dass aus so viel Disparatem eine Einheit werden könnte, daher mache ich es mir einfach und sage: Bitte lesen!