An Robert Seethaler heftet das Etikett der Einfallslosigkeit. Wer seine Bücher empfiehlt, springt demnach auf einen Bestseller-Bus auf, wer sie gelangweilt nicht zu Ende liest, gibt daran dem Autor die Schuld. In diesem Vorwurf stecken vor allem Neid und Missgunst.
Missgunst, weil inzwischen doch einige Leser*innen gemerkt haben, dass Seethaler-lesen einfach guttut. Und Neid auf die Klarheit und Folgerichtigkeit, mit der dieser Autor von Buch zu Buch voranschreitet, unbeirrt Geschichten erzählt, die fernab jeglicher Diskurshitze und Skandalträchtigkeit liegen.
Zentrum des neuen Seethalers ist das titelgebende Café ohne Namen am Wiener Karmelitermarkt. Der Gelegenheitsarbeiter Robert Simon hat dieses Café Ende der sechziger Jahre eröffnet, schnell wird das Gasthaus zum sozialen Zentrum der Nachbarschaft.
Weil der Wirt so vorbildlich ist, wie es sich für einen Wirt gehört, bleibt er diskret im Schatten, drängt sich weder uns Leser*innen noch den Gästen auf. Die sind es nämlich, die den Roman bevölkern und bereichern. In deren Lebensgeschichten stecken die kleinen Beiläufigkeiten, die diesen Roman so schön machen, so erfahrungssatt, so tröstlich.
Die Berufe, denen die Cafégäste nachgehen, zeigen deutlich das Milieu, in dem die Geschichten angesiedelt sind: Es treten auf eine Mörtelmischerin, Gerüstbauer, Asphaltierer, Gaswerkskassierer, Weinhauer und Ausbeiner. Bitte stellen Sie sich das nicht als Arbeiterromantik oder Kostümfilm vor, Seethaler erzählt nicht der Kulisse wegen, sondern zielt auf das Zeitlose, das Menschliche, das Alltägliche. In den „normalen“ Lebensläufen spiegelt sich das zum Leben gehörende Scheitern, das Nicht-zu-Ende-kommen eben deutlicher als in aufgepimpten Biographien privilegierter Gesellschaftssnobs.
So stark verkürzt klingt das vielleicht nüchtern, aber es steckt doch ein gehöriges Traum- und Glanzpotential in diesem Buch. Meine Lieblingsfigur ist der Heumarktringer René Wurm. Das dieser kein Muskelprotzklischee ist, hat Seethaler ihm im Namen mitgegeben. Wurm ist schwer von Sucht und Verfall bedroht, sein Wille genügt manchmal nicht, den Aufgaben der Nüchternheit standzuhalten.
Und doch ringt er sich durch und wird bei der Kellnerin Mila vorstellig und fragt, ob man nicht mal spazieren gehen wolle: „Ich bin vielleicht nicht der Beste unter den Besten … aber ich bin ein guter Kerl. Das sagen alle … und mit der Linken kann ich zwei normalgewachsene Männer umhauen.“
Es sind solche behutsamen Portraits, die dieses „Café ohne Namen“ zu einem außerordentlichen Leseerlebnis machen. Um deren gesamte Behutsamkeit auszuschöpfen, sollten Sie sich im besten Falle Zeit lassen. Dörte Hansen hat das laut Süddeutscher Zeitung mal als Ratschlag formuliert: Man dürfe einen Seethaler auf gar keinen Fall „reinrüsseln“. In einem Café spricht man ja auch nicht an einem Tag mit allen Gästen.