„Im Frühling 1936 pflanzte ein Schriftsteller Rosen.“ So beginnt Rebecca Solnit, behutsam. So behutsam, wie das Rosenpflanzen heute eben ist. Sie bleibt bei sich und einer Reise zu einem Freund, denn von sich selbst gehen Erkundungen ja immer aus.
Dieser Freund fand nach einem familiären Todesfall Trost bei Bäumen und auch Orwell schrieb in einem Essay („ein Triumph der Abschweifung“, so Solnit) über Bäume und die Bedeutung des Pflanzens, über Beständigkeit und Nachwelt. Als ob sie sich ein Beispiel an Orwells triumphalen Abschweifungen genommen hätte, fügt sie ein Motivnetz zusammen, dessen Hauptstränge aus Solnits eigener Gegenwart und Orwells Leben und Werk besteht. Ihr beiläufiges Abschweifen ist so agil, dass man sich beim Lesen an der gedanklichen Beweglichkeit erfreut.
Zunächst werden die Rosen zu Saboteuren von Solnits lang anhaltender, konventioneller Sicht auf Orwell. Das Leben dieses hellsichtigen Analysten von Totalitarismus und Propaganda war durchsetzt von Kriegen: Seine Lebenszeit von 1903 bis 1950 war geprägt von politischen Konflikten aller Art, Orwell kämpfte 1937 sogar im Spanischen Bürgerkrieg und prägte 1945 den Begriff Kalter Krieg.
Die Rose ist Solnit eine Art Stachel im Fleisch, eine Aufforderung nochmal genauer hinzuschauen, tiefer zu schürfen, Fragen zu stellen. „Dass ein Sozialist, ein Utilitarist oder überhaupt ein pragmatischer oder praktisch veranlagter Mensch Obstbäume pflanzt, ist nicht erstaunlich: Sie haben einen ökonomischen Wert. Aber eine Rose zu pflanzen, kann vieles bedeuten.“
Und diese Vielfalt löst diese glänzende Essayistin in sieben Annäherungen auf. In der Szene des Rosengartenanlegens assoziiert sie genauso das Pflanzen als generationenübergreifende Nachhaltigkeit, wie den revolutionären Slogan Brot und Rosen und einen damit verbundenen aufschlussreichen Abschweif zum Spanischen Bürgerkrieg.
Weiterhin macht sie einen ästhetischen Sidekick zur berühmten Rosenfotografie von Tina Madotti, kommt auf Stalins Besessenheit von einer Zitronenzucht am Polarkreis zu sprechen und besucht eine Rosenfarm in Kolumbien (nach diesem Kapitel wird wohl kein*e Leser*in mehr eine Rose im Supermarkt erwerben wollen).
„Orwells Rosen“ ist so ein Buch, das eigentlich ohne Klappentext ausgeliefert werden müsste. Fragen Sie sich bitte nicht im Voraus, ob Sie sich für die Themen interessieren. Rebecca Solnit macht das schon. Sie besitzt die große Kunst der vielfältigen Anknüpfung. Dieses Buch ist so breit und reich und kunstvoll, ein Füllhorn beiläufiger Pädagogik.