In Sonntagsreden lautet eines der kitschigsten Argumente für Bücher ja, sie seien Reisen im Kopf. Und wie jeder Kitsch noch eine letzte Spur des Schönen in sich trägt, so liegt auch in dieser Sentenz bei aller Banalisierung von Literatur noch ein Gran Wahrhaftigkeit. Nämlich, dass Lesen mit Bewegung zu tun hat.
Wie vielfältig solche Bewegungen im Lesenden reisen sein können, belegt der Essayist Stephan Wackwitz in seinem spektakulär undeutschen Lebensbuch „Geheimnis der Rückkehr“. Die im Untertitel angekündigten „Sieben Weltreisen“ beziehen sich vordergründig auf die sieben Städte, in denen er als Leiter vom Goethe-Instituten gearbeitet hat: London, Tokyo, Krakau, Bratislava, New York, Tbilissi und Minsk.
Doch diese Städte waren für Wackwitz nicht einfach nur neue Stadtpläne für dieselben kulturfunktionärischen Aufgaben. Wackwitz ist eine Katze und somit in jeder Stadt auch ein anderer geworden – sieben Städte, sieben Leben. Solchen Einflüssen und Veränderungen geht er in diesem Rückblick nach. Wie ist er der geworden, der er war und ist?
Das hat nicht das gespreizte Namedropping manch eines altgewordenen Helden, das nur Altersgenossen noch verständlich ist. Dieses Buch ist bar jeder Angeber- und Behauptungspose, vielmehr stellt es in Bescheidenheit und in einer auch im Rückblick vorhandenen Konzentration auf die Welt und die Mitmenschen eine Möglichkeit dar, wie ein solches Leben zu leben war, ohne es als das einzig mögliche zu behaupten.
In dieser Haltung ist das Buch eben ein undeutsches Buch geworden. Hier erzählt ein Weltbürger ganz ohne Eitelkeit von Kunstbegegnungen und menschlicher Herzlichkeit. Wackwitz‘ Lebensgeschichte kennt Brüche genauso wie Konstanten. – Und der Autor ist ehrlich genug, beides einzugestehen. Als er beispielsweise die Nachricht erhält, nach Krakau versetzt zu werden, ist es für ihn die größte Niederlage seines beruflichen Lebens. Krakau?
Das hatte im Goethe-Kosmos das Image eines Abstellgleises. – Doch Wackwitz wird dann so herzlich aufgenommen von einer energiegeladenen Gesellschaft im Aufbruch, dass von Niederlage keine Spur mehr übrigbleibt, sondern vielmehr ein gänzlich unerwartetes neues Leben beginnt. Solcherart sind die Geschichten und Begegnungen dieses großen Buches.
Stephan Wackwitz bleibt ganz bei sich – und eröffnet uns Lesern damit paradoxerweise einen recht intimen Raum. Indem er uns erzählt, welche Autorinnen und Autoren beispielsweise sein Denken geprägt haben, lädt er uns gleichzeitig ein, selber neugierig zu sein und nachzulesen. Dabei prägt er so manche Sentenz, die sprachverliebten Leserinnen lange nicht aus dem Kopf gehen dürften: „wobblines“ beispielsweise oder „Connaisseurship der Einsamkeit“. Das Leben bezeichnet er mal als „autopoetische Laubsägearbeit“, mal als „Lebensmarmorkuchenproblem“.
In diesem Sinne: Nehmen Sie diese Einladung an, kaufen Sie sich dieses Buch und backen sich einen Lebensmarmorkuchen.