Zwischen den Jahren lesen heißt Stapellesen. Endlich mal schauen, was sich so aufgestapelt hat im Laufe des Bücherjahres. Bei einigen Leserinnen und Lesern ist dieser Stapel ja mit einem immerwiederkehrenden Lamento verbunden: „Ich habe ja noch so viel liegen.“ Als wären ungelesene Bücher etwas Belastendes und nicht vielmehr eine große Ansammlung an Möglichkeiten.
Weil für Februar ein neuer Roman von ihr angekündigt wird, dachte ich, endlich das noch aufgestapelte Buch „Frausein“ von Mely Kiyak zur Hand zu nehmen. Ihre Kolumnen – nachzulesen im Band „Werden Sie uns mit FlixBus deportieren?“ – sind immer so geistreich anregend, so frisch und frech, so von Haltung durchwoben und zuverlässig stilistisch präzise und pointiert, dass ich meinen Literaturbegriff sehr gerne so weit wie für Kurt Tucholsky ausdehne.
Ganz gleich, in welches Genre der Verlag die Texte von Kiyak einsortiert, ob als Roman, Streitschrift oder Kolumne, was sie schreibt, gehört zum Besten, was Sie sich als Leserin und Leser literarisch gönnen können. Mein Stapelbuch „Frausein“ trägt interessanterweise gar keine Genrebezeichnung, richtig und mutig so.
Kiyak erzählt von dem Frausein genauso wie von ihrem Frausein, sie erzählt von ihren Eltern und ihrem Frauwerden, erzählt von Herkunft zwischen zwei Ländern und Kulturen, sie erzählt von Liebe, Zuneigung und auch von Bedrängung. Und das alles nicht fein sauber getrennt voneinander, sondern so, wie es auch erlebt wird: gleichzeitig, geschichtet, sich gegenseitig beeinflussend.
Man kann dieses Buch durchlesen und aber auch einfach irgendwo aufschlagen und beginnen, sofort ist man drin im Text, im Gedankenstrom, im Erfahrungsraum. Es liegt ein Bann in diesem Buch, für mich ein Sog der Neugierde, Fremdes zu erkunden, sich von Erfahrungen berichten zu lassen und die Welt anders zu sehen. Die verblüffende gedankliche Klarheit der Mely Kiyak hat etwas sehr schönes, ihr Selbstbewusstsein etwas enorm tröstliches.