Clemens Meyer liest
"Die Projektoren"
am Dienstag, 12. November 2024
um 19.30 Uhr
im Hörsaal der Kliniken Westend
am Spandauer Damm 130
Moderation Felix Palent
Eintritt 10€
Tickets in der Knesebeck Elf!
Wäre der Buchmarkt ein anderer, hätte der S.Fischer-Verlag es sich leisten können, dieses Buch als Leseserie herauszubringen: Jedes Kapitel in einem einzelnen Heft und mit dem Schlusskapitel "Komm wieder, Dr. May!" hätte man einen Holzschuber geliefert bekommen, in den jedes Heft als komplette Staffel einsortiert werden kann. Das wäre dem unkonventionellen Inhalt gerecht geworden und hätte mancher Leserin die Angst genommen vor diesem Ziegelstein an Buch.
Obwohl: Dieses Buch ein Buch zu nennen grenzt schon fast an eine Frechheit. „Die Projektoren“ ist ein so überdimensioniert großartiges Kunstwerk, das es über Jahre seinesgleichen suchen wird. Die deutschsprachige Gegenwartsliteratur ist um einen unvergleichlichen Meilenstein reicher geworden.
Zwei Hauptfiguren ziehen in den „Projektoren“ durch Raum und Zeit: Ein ehemaliger Partisan namens Cowboy und – nicht weniger rätselhaft – ein Mann namens Hatschi. Beide sind gespiegelte Wiedergänger von Figuren aus Karl May-Romanen, beide haben auf verschlungenen Wegen mit den Jugoslawienkriegen und den Winnetou-Filmen zu tun.
Der Glutkern dieses weit ausgreifenden, metaphorisch gedachten Romans besteht nämlich in einer erschreckenden historischen Verdichtung, die Meyer im Velebitgebirge findet: Dort, wo in den 1960er Jahren die Winnetou-Filme gedreht wurden, finden Jahrzehnte später an genau denselben Orten die brutalen Kämpfe der Jugoslawienkriege statt. Nur dass die Statisten mit den Filmpistolen von damals nun mit scharfen Waffen aufeinander schießen.
Im Meyer-Sound klingt das dann so (Kapitel sechs): "Ein kurzes Register über die Zeit, in der die Deutschen romantische Western in Jugoslawien drehten und die Toten sich immer wieder erhoben, bevor sie dreißig Jahre später verwundert liegen blieben."
Was in den anderen 16 Kapiteln folgt, ist assoziativ mit dieser historischen Monade verbunden: Da ist eine Gruppe junger Rechtsradikaler aus Dortmund, die sich dem Kampf der kroatischen Ustascha-Faschisten anschließen; da ist eine psychiatrische Klinik in Leipzig, in der eine Konferenz zu einem ehemaligen Insassen abgehalten wird, dem Fragmentaristen (ob das Hatschi ist?); und da ist eine Reise von Pierre Brice in die USA, wo sich wieder, wie bei den Filmarbeiten, die Ebenen von Darstellung und Wirklichkeit funkensprühend überlagern.
Meyers Kapitel dazu heißt: "Zweihundertdreiundneunzig Sätze über Winnetous Reise nach Wounded Knee im März 1973, als die Gedenkstätte von Aktivisten des American Indian Movement besetzt gehalten wurde, um Amerika und die Welt an die Missstände in den Reservationen und die zweihundertdreiundneunzig indigenen Opfer des Massakers von 1890 zu erinnern."
Nacherzählt klingt das alles fragmentarisch und konfus, erzählt von Meyer ist es bereichernd und überwältigend. Es bliebe noch so viel Weiteres zu klären und zu zeigen an diesem Buch. Allein die Leitmetapher der „Projektoren“ ist so kühn und bietet so tiefe Gedankengänge über das Wesen der Geschichte und der Erinnerung an, dass dieser Text hier dann ebenso lang würde wie das Buch von Clemens Meyer, nur bei weitem nicht so kunstvoll, witzig, bildstark und monumental.
„Die Projektoren“ ist mitnichten ein Buch des Jahres, dafür steht es im Anspruch und Gelingen viel zu hoch über anderen geschriebenen Geschichten – dieser Roman ist das Buch des Jahrzehnts!
Hinweis: Clemens Meyer liest "Die Projektoren" am Dienstag, 12. November 2024 um 19.30 Uhr im Hörsaal der Kliniken Westend am Spandauer Damm 130. Moderation Felix Palent. Eintritt 10€. Tickets erhalten Sie in der Buchhandlung Knesebeck Elf >>