Yukio Mishimas Radikalität ist legendär. Ein Autor als putschender Paramilitär, der durch freiwillige Selbsttötung seine Ehre und Integrität zu wahren sucht? Mishimas Fiktionen wurden am Ende seines Lebens Realität. Kenzaburo Oe hatte recht, als er schrieb: "Durch seinen Tod hat Mishima im Grunde sein ganzes Werk noch einmal neu geschrieben."
Die Herausforderung, vor die uns der Kein & Aber-Verlag mit seinen Neuübersetzungen der Romane Mishimas stellt, ist die Herausforderung, diesen Autor neu zu lesen, ohne radikal suizidales Lebensende Mishima als Künstler wieder zu entdecken, hier also tatsächlich einmal Werk und Autor zu trennen.
"Der Held der See" heißt der jüngst in neuer Übersetzung von Ursula Gräfe erschienene Roman, der angelegt ist wie ein Kammerspiel. In einer pointierten Komposition wird das gesamte Spektrum menschlichen In-der-Welt-seins formuliert, von der snobistischen Fixierung auf die Schönheit über eine kraftverherrlichende Überhöhung der Einfachheit bis hin zur radikalen Todessehnsucht.
Der robuste Seemann Ryuji verliebt sich in die mondäne Witwe Fusako. Beide erkennen ineinander das Faszinosum des Gegensatzes: Der weitgereiste Seemann ist fasziniert von der Eleganz Fusakos, die eine Boutique für westliche Luxusartikel führt und in französischen Restaurants speist, ohne je aus Japan herausgekommen zu sein. Sie wiederum ist angezogen von der kraftvollen Rauheit Ryhujis und dessen zupackender "Ethik der Tat".
Und dann wäre da noch die den Erwachsenen gegenüberstehende "Bande" von Fusakos Sohn Noboru – eine nihilistische Gruppierung orientierungslos herumstreunender Jungs, die ihre Väter und deren Traditionen verachtet und hemmungslos Grenzen austestet.
Yukio Mishima richtet alles an wie in einer Gewitteranlage. Aus diesen drei Polen kann es ja nur gewaltig donnern und blitzen – vor Lust und vor Grauen. Denn jetzt bloß keine Lesefurcht aufkommen lassen! Ja, so etwas im wahrsten Sinne des Wortes krasses liest man selten auf so hohem literarischen Niveau. Mishimas Roman ist kein verkopfter Theorieentwurf, sondern wirklich eher ein süffiger Plot. Die Figuren sind so geschickt zugespitzt entworfen und zusammengestellt, dass es eine seltene Lesefreude ist, die Dimensionen dieser Geschichte zu entschlüsseln.
"Der Held der See" ist ein japanischer Klassiker, der die große Kunst literarischen Erzählens noch immer glänzend und mit Tiefgang zu präsentieren weiß.