Eine Ausnahmeschauspielerin schreibt einen Ausnahmeroman: Im Sportgeschäft würde man diese Frau eine „Unterschiedsspielerin“ nennen. Ihre Auftritte als Schauspielerin auf deutschen Bühnen sind nicht einfach nur eindrucksvoll – sie sind der Grund, warum man überhaupt hingeht. Es ist gleichgültig, in welchem Stück Valery Tscheplanowa mitspielt, sogar gleichgültig, ob sie eine Haupt- oder Nebenrolle verkörpert – Ihre Auftritte sind so kraftvoll, eigensinnig und intensiv, dass selbst der kürzeste Auftritt sich lange ins Gedächtnis bannt.
Nachdem diese Ausnahmeschauspielerin mit ihrem denkwürdigen Auftritt in Frank Castorfs Inszenierung von Goethes „Faust“ zur Schauspielerin des Jahres gewählt wurde, hat sie sich vom Theater weitgehend zurückgezogen und sucht in anderen Kunstformen nach Intensität, im Puppenspiel, im Film und nun auch im Schreiben. Valery Tscheplanowa erzählt mit Das Pferd im Brunnen in leuchtenden, bildstarken Momentaufnahmen von vier russischen Frauen. Die Erzählerin des Romans kehrt zurück in einen kleinen Ort bei Kasan, in dem ihre Großmutter gelebt hat und deren Wohnung sie nun auszuräumen hat.
Der bis zum Rand mit Vorräten an Watte und Verbandsmaterial vollgestopfte Schrank lässt sie das Leben dieser Frau als Krankenschwester genauso rekapitulieren, wie sie sich deren Kindheit und die Pflicht der Säuberung des Lazaretts schon im Alter von sechs Jahren vor Augen führt. Mit solchen anekdotischen Tiefenbohrungen in die Zeit versucht die Erzählerin zu verstehen, wo sie selbst herkommt. Sie erinnert sich an die Frauen, mit denen sie aufwuchs: Grundverschieden waren die, aber einig in ihrer Abscheu gegen jede Abhängigkeit.
Und in ihrer Souveränität und dem Ideenreichtum, mit der Tscheplanowa das erzählt, ist eine große Meisterschaft zu erkennen. In einer der eindrucksvollsten Szenen beschreibt sie das Anstehen nach Eiern im Sozialismus: Zunächst ein langes Warten und Miteinandersprechen in der Schlange. Wenn man dann endlich dran ist und schon so lange gewartet hat, kann man ja auch gleich die dreifache Menge an Eiern mitbringen.
Beim Transport durch die Stadt dann helfen Passanten, denn immer mal wieder wackeln einzelne Eier gefährlich oder gehen gar kaputt. Zu Hause angekommen bemerkt man doch, dass zahlreiche Eier einen Knacks haben, also muss sofort gebacken werden. Die Menge an Kuchen kann jedoch auf gar keinen Fall allein verzehrt werden, also lädt man Freunde und Familie ein und genießt gemeinsam.
Eins steht also fest: So wenig wie Valery Tscheplanowa auf der Bühne eine Schauspielerin unter vielen ist, so wenig wird sie mit diesem Romandebut eine schreibende Schauspielerin unter vielen sein.