Kürzlich fragte mich meine Großmutter, ob ich ein paar Museumsempfehlungen für ihre Tochter, meine Tante, zusammenstellen könnte. Meine Tante kommt nämlich zu Besuch aus England. Selbst im Kunstbereich tätig, sind Fotografie und Collagen ihre Lieblingsfelder. Wenn sie dann aber mal nach Berlin kommt, dann wollen die großen Kaliber erlebt und geschaut werden!
Wenn ich ehrlich bin: Meine Standardempfehlung, wenn es um Klassiker der Museumskunst in Berlin geht, war in der letzten Dekade eigentlich immer Die Gemäldegalerie. Auch wenn mich dorthin – zugegeben – vor allem immer nur ein Bild zieht: “Die Buße des Hl. Hieronymus“ (um 1450) von Piero della Francesca, meinem absoluten Lieblingsmaler der Früh Renaissance, der mich jedes Mal wieder rätselnd vor seinem besonderen und seltsamen kleinen Gemälde zurücklässt.
Gefolgt von dem dann immer wieder neu heiß entfachten Wunsch, einmal einen Road-Trip nach Italien zu machen, um alle Werke Pierro della Francescas zu besuchen. Die meisten seiner Werke sind nämlich nicht in Museen, sondern in situ vor Ort in Kirchen und Klöstern zu sehen.
Wie auch immer. Dieses Mal habe ich aber über Die Gemäldegalerie noch die Alte Nationalgalerie gesetzt – ganz oben auf den Zettel und dick unterstrichen:
© RMN-Grand Palais (Musée d'Orsay), Foto: Patrice Schmidt | Bridgeman
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Denn dort im ersten Stock gibt es noch bis zum 10. Juli 2022 die Ausstellung „Paul Gauguin – Why Are You Angry?“ zu sehen. Der Name lässt schon erahnen, dass hier nicht nur Werke des aus heutiger Sicht höchst problematischen Malers hängen. Hier wurde alles inhaltlich und kuratorisch richtig gemacht, denn „vor dem Hintergrund historischer Vorbilder und postkolonialer Debatten wird der von Gauguin selbst erschaffenen Mythos des 'wilden Künstlers' zur Diskussion gestellt. Gauguin griff seinerseits bereits auf einen kolonialen Traum vom irdischen Paradies zurück, der ihm zugleich den Aufbruch zu einer völlig neuartigen Kunst ermöglichte.” so der Ausstellungstext.
Noch nie wurde mir so deutlich, dass sein Werk ohne seine Sujets, den meist minderjährigen Frauen, nie entstanden wäre und wie einseitig seine Bilder sind – die eurozentrische Sicht eines weißen Mannes.
© bpk / Ethnologisches Museum, Staatliche Museen zu Berlin / Annette Hlawa
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In der Ausstellung wird durch historische Fotografien und Schriftstücke das damalige romantisierte Weltbild auf die Tropen deutlich (Exotik und Erotik) und wie dieses durch die erste Weltausstellung in Paris, die nachweislich auch Gauguin besuchte, beeinflusst wurde.
Sein selbst erschaffener Mythos des 'wilden Künstlers‘ viel hier auf fruchtbaren Boden, sein Leben war schon früh vom Reisen geprägt. Obwohl 1848 in Paris geboren, verbrachte er seine frühe Kindheit in Lima, Perù, wohin seine Familie gezogen war und wo sein Großvater mütterlicherseits, Don Mario Tristan y Moscoso, lebte. Das Interesse an fremden Kulturen und gesellschaftlichen Strukturen jenseits der damaligen Norm, der sogenannten zivilisierten Welt, wurde ihm quasi in die Wiege gelegt.
Dazu gibt es selten gezeigte Skulpturen und Holzschnitze des Malers der sich gerne an den Ideen anderer bediente, bzw. Originale übermalte.
© Courtesy of Nashashibi/Skaer and Grimm Gallery
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Die aktuellen und dringend notwendigen Blicke der Ausstellung durch Werke zeitgenössischer Künstler*innen wie Angela Tiatia (Neuseeland/Australien), Yuki Kihara (Samoa/Japan) oder Nashashibi/Skaer (Großbritannien) und den tahitianischen Aktivisten und Künstlers Henri Hiro (Französisch-Polynesien) bringen das ganze ins Heute.
Es sind genau diese zeitgenössischen Positionen, die den größten Eindruck hinterlassen und die Werke des jahrzehntelang gefeierten Gauguins durch diesen Kontext erst wieder erträglich machen, zerlegen und in eine neue Wahrnehmung drängen. Richtig gut und richtig wichtig.
Und danach kann man sich dann durch die weiteren Stockwerke und die ständige Sammlung der Alten Nationalgalerie treiben lassen. Ich hatte fast vergessen, wie viele Schätze hier hängen. Auf keinen Fall das Erdgeschoss vergessen, hier gibt es ein paar richtige Knaller – Going out with a bang!