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Tectonic Tender Nina Canell in der Berlinischen Galerie

Dienstag, 17. Mai 2022
Advertorial

Die Orte im Überblick

Karte (1)

Wir alle kennen den sprichwörtlichen Sand im Getriebe. Das beschreibt einen Zustand, bei dem es nicht rund läuft, der Sand – obwohl so winzig – verhindert einen reibungslosen Ablauf. Ein starkes figuratives Bild, wahrscheinlich auch der Grund, warum sich ein Aktionsbündnis aus verschiedenen globalisierungskritischen, klima- und verkehrspolitischen Gruppen so nennt.

Sand ist aber auch Teil von Beton, „einem künstlich hergestellten Stein aus einem Gemisch von Zement, Wasser und Gesteinskörnung (Sand und Kies). Im zuerst breiartigen Zustand ist er beliebig formbar, bevor er erhärtet und seine hohe Druckfestigkeit gewinnt.” So kann man es nachlesen im Netz. Was mich wiederum zur sogenannten Anthropogenen Masse bringt. Schon mal gehört? Nein? Dann wird es (gezwungenermaßen) Zeit: Anthropogen bedeutet von Menschen, also von uns, verursacht.

Im Jahr 2020 hat das Weizman Institute in Tel Aviv eine Studie herausgebracht, die belegt, dass wir die Masse des vom Menschen geschaffenen „anthropogenen Teils“ der Erde alle zwanzig Jahre verdoppeln. Ein Ende ist nicht in Sicht. Im Gegenteil. Wir befinden uns an einem Wendepunkt, der, wenn es so weitergeht, zu einem „Betondschungel“ führt, der voraussichtlich über zwei Teratomen (d. h. zwei Millionen Millionen!!) oder mehr als die doppelte Masse der Lebewesen bis 2040 betragen wird.

Beton führt die Liste der künstlichen Masse an. Da es für Gebäude und Infrastruktur verwendet wird, ist es nach Wasser der am zweithäufigsten verwendete Stoff der Welt. Ernüchternd und alarmierend. Reicht es aus, um etwas zu ändern? Und was hat so ein im wahrsten Sinne des Wortes „schweres Thema“ in einer Kunst-Kolumne zu suchen, möchte man sich fragen?

...

Muscle Memory

Die Antwort ist einfach und komplex zugleich. Denn Kunst fungiert im besten Fall vor allem, wenn so reduziert und eindrücklich umgesetzt wie in der aktuellen Installation „Muscle Memory“ von Nina Canell in der Berlinischen Galerie als Denkanstoß.

Also ein Mittel zum Nachdenken, welches das innere Zusammensetzen und Erfassen von scheinbar abstrakten, nicht zusammenhängenden Realitäten, Stoffen oder Abläufen auslöst.

Wie in diesem Fall sieben Tonnen Muschelschalen, über die die Besucher*innen in besagter Installation laufen, und der anthropogenen Masse, die im wahrsten Sinne des Wortes dabei ist, unsere Erde zu verschlingen.

Wollen wir Sand unter den Füssen spüren und aufs Meer blicken, während die Sonne untergeht mit dem Wissen, dass die Ozeane weiterhin als unglaublich diverse und atemberaubend schöne Lebensräume existieren oder reicht uns der schöne (Sonnen-)Schein auf dem Wasser und blenden wir einfach aus, dass unter der Wasseroberfläche bald nichts mehr bleibt, außer dem Sand am Meeresboden?

All diese Gedanken schießen mir durch den Kopf, während ich vorsichtig über die knirschenden Muschelschalen gehe, die im Laufe der Ausstellungsdauer buchstäblich unter dem Körpergewicht der Besucher zermahlen werden.

Und da schließt sich auch der Kreis, denn „aus geschredderten Muscheln gewonnener Kalzit ist ein wesentlicher Bestandteil von Beton und damit Rohstoff für einen Großteil der Räume, die uns umgeben. Canells multisensorische Skulptur lädt dazu ein, über die unzähligen zerbrochenen Körper nachzudenken, die uns in Form von gebauter Materie täglich umgeben.“

Berlinische Galerie | 
Alte Jakobstraße 124-128 | 10969 Berlin-Kreuzberg.„Muscle Memory“ von Nina Canell
noch bis 22. August 2022

Epilog

In der Galerie Neu gibt es derzeit die erste Solo-Show „Die bunten Tage“  des in New York lebenden Künstlers Louis Fratino zu sehen, der die Mittel der Farbe höchst wirkungsvoll einsetzt, um das „emotionale Register des Alltags, des Intimen und der Landschaft zu beeinflussen.“ Vor einem Gemälde in dunklen Tönen mit dem Titel „last swim of the season“ bleibe ich besonders lange stehen…

Galerie Neu | 
Linienstraße 119 | 10115 Berlin.Louis Fratinos erste Solo-Show „Die bunten Tage“
noch bis 4. Juni 2022

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