Dienstag + Mittwoch 10-18 Uhr
Donnerstag 10-20 Uhr
Freitag 10-18 Uhr
Samstag + Sonntag 11-18 Uhr
Hamburger Bahnhof
Invalidenstraße 50-51
10557 Berlin-Mitte
.Anfahrt planen
Weiter geht es im Juli mit unserer Reihe über Berliner Kunst-Institutionen mit dem Hamburger Bahnhof. Warum Sie diesen unbedingt vor Ende September diesen Jahres besuchen sollten und was Beuys mit dem Anthropozän zu tun hat erfahren Sie hier.
Aber vom Anfang: Der Name lässt schon erahnen, dass das Gebäude ursprünglich nicht mit der Absicht errichtet wurde Kunst zu zeigen. Das heutige Museum für zeitgenössische Kunst war seit 1846 die letzte Station auf der Strecke zwischen Berlin und Hamburg und ist damit auch der letzte noch existierende historische Bahnhof Berlins. Nach umfangreichen Umbauten eröffnete er im Jahr 1996 neu, als Museum.
Das war schon mal eine feine Sache für das Berlin nach der Wende. Es war aber die Dauerleihgabe der Friedrich Christian Flick Collection, die den Hamburger Bahnhof weltweit auf die Karte setzte und 2004 eine umfängliche Erweiterung des Museums notwendig machte (indem man das historische Gebäude mit den anliegenden Rieckhallen verband und damit die Ausstellungsfläche von 7.000 auf mehr als 10.000 Quadratmeter vergrößerte).
Von da an beherbergte der Hamburger Bahnhof als Teil der Nationalgalerie eine der weltweit größten und bedeutendsten öffentlichen Sammlungen zeitgenössischer Kunst. Bloß damit ist in diesem Jahr Schluss. Am 30. September 2021, um genau zu sein!
Wie kann das sein? Zu diesem Datum läuft nach siebzehn erfolgreichen Jahren der Leihvertrag über die Werke die aus der Flick Collection stammen aus. Der Grund hierfür ist wirklich haarsträubend und entsprechend groß war in 2020 der Aufschrei in der Hauptstadt. Der Mietvertrag für die Rieckhallen endet – denn diese Hallen, in denen die Flick Collection bisher gezeigt wurde, werden abgerissen!
Will heißen: mit diesen Räumen verliert der Hamburger Bahnhof auch die dort präsentierten Werke. Die Kulturpolitik Berlins hat auf ganzer Linie versagt, man hatte versäumt, die Räumlichkeiten rechtzeitig zu sichern, Flicks Sammlung geht zurück in die Schweiz…
Zurück zu Beuys. Der im Rheinland geborene Künstler, der weltweit zu den bedeutendsten Künstlern des 20. Jahrhundert zählt, wäre heuer 100 Jahre alt geworden. Im Hamburger Bahnhof widmet man ihm die Ausstellung “Von der Sprache aus. Joseph Beuys zum 100. Geburtstag” – Ausgangspunkt ist eine Rede die Beuys 1985 an den Münchner Kammerspielen zu der Reihe „Reden über das eigene Land: Deutschland“ vortrug.
In dieser hielt er fest, “dass er seine Werke „von der Sprache aus“ entwickle. Bildnerischen Gestaltungsmitteln ebenbürtig, verstand er die Sprache als plastisches Material, durch das jede Einzelne und jeder Einzelne körperlich, intellektuell und kommunikativ an der Neuordnung der Gesellschaft teilhaben könne."
Obwohl es unbestreitbar der Fall ist, dass wir alle mehr denn je kommunikativ und “intellektuell“ an der Gesellschaft teilhaben, hatte Beuys sich wahrscheinlich nicht vorgestellt, dass sich der Großteil dieser Sprache heute auf Social-Media-Kanälen in Hasskommentaren, Shitstorms, gnadenlos hedonistischer Selbstdarstellung, Katzenbildern und Memes (bless them memes) ergießt. Die Emojis, und Abkürzungen lassen wir hier mal gnädigerweise weg.
Wir stellen fest, das passt dann doch tatsächlich ganz gut ins Anthropozän. Also das Zeitalter, in dem der Mensch zu einem der wichtigsten (und das ist wahrlich kein Kompliment) Einflussfaktoren auf die biologischen, geologischen und atmosphärischen Prozesse auf der Erde geworden ist. Für alle, die es immer noch lieber verdrängen in einem Satz zusammengefasst: Die durch den Treibhauseffekt hervorgerufene Erderwärmung gilt als größte Herausforderung für die Menschheit, bzw. was von Ihr dann in den nächsten paar Dekaden übrig bleibt.
Ironischerweise läuft derzeit in den Rieckhallen mit “Scratching the Surface“ eine Gruppenausstellung (mit Werken aus der Sammlung der Nationalgalerie, der Friedrich Christian Flick Collection im Hamburger Bahnhof und Leihgaben), die sich ausgerechnet dem Anthropozän widmet. Es geht um Klimawandel, Artensterben, Übernutzung von Ressourcen und die Ausbreitung von Kunststoffen (neuster wissenschaftlicher Stand: Die Umweltverschmutzung durch Chemikalien und Plastik droht bis 2045 eine unfruchtbare Welt zu schaffen) und wie sich das Verständnis von Landschaft und Umwelt in den vergangenen sechs Jahrzehnten verändert hat.
Beuys hätte sich wahrscheinlich ausgiebig am Wort Anthropozän abgearbeitet, aus zweierlei Gründen. Zum einen war er Gründungsmitglied der Grünen, zum anderen “forderte er seine Künstlerkollegen (die wir alle sind*) auf, eine Alternative zum Zwei-Block-System zu finden, denn der Kommunismus entpuppte sich als unterdrückend und der Kapitalismus mit seinem ständigen Bedürfnis nach Wachstum kann auf lange Sicht nicht funktionieren, weil der Planet, auf dem er praktiziert wird, endlich ist…. “
“Wir müssen diesen dritten Weg finden, sonst werden wir zugrunde gehen und es erfordert die Kreativität eines Künstlers, um dieses Konzept zu entwickeln.”
*„Jeder Mensch ist ein Künstler.“ meint aus Joseph Beuys' Perspektive, dass jeder an der „Sozialen Plastik“ mitwirkt und damit Verantwortung für die Gestaltung unserer Gesellschaft hat. Die „Soziale Plastik“ bildet unsere Gesellschaft und unser Lebens auf diesem Planeten ab.
Ach ja, das Wort Anthropozän kommt aus dem altgriechischen und besteht aus den Worten ánthropos, zu deutsch ‚Mensch‘ und καινός zu deutsch ‚neu‘…