Lindas Tag beginnt mit "im Café". Dort kann es schon mal sein, dass sie mit spitzen Ohren dasitzt und lauscht. Seit zehn Jahren sind Berliner Cafés für sie nicht bloß irgendwelche Orte, an denen man Kaffee bekommt. Sie sind auch ihre Inspirationsquelle und beinahe so etwas "wie externe Ziehmütter und -väter". Ihr "Literarisches Zuhause" hat sie in mancherlei Berliner Café gefunden, dort schreibt sie Impressionen aus der Hauptstadt, urbane Prosa.
Ich treffe die Autorin, Kolumnistin und Texterin – wie könnte es auch anders sein – in einem Café. Im Kreuzberger La Maison, um genau zu sein. Das ist direkt um die Ecke ihres Büros. Denn wenn sie keine "Kürzestgeschichten" verfasst, sitzt sie als CCO des kleinen Frankfurter Crowdpublishing-Verlags Kladdebuch im Kreuzberger Betterplace im Umspannwerk; dort wo einst der google-Campus Quartier beziehen wollte.
Mit Scriptbakery hat Kladdebuch gerade auf der Frankfurter Buchmesse eine Künstliche Intelligenz für die Manuskriptverwaltung für Verlage gelauncht. Bis vor Kurzem erschien außerdem Lindas äußerst lesenswerte Kolumne "Mein deutsch-jüdisches Leben" für das Süddeutsche Zeitung Magazin. Erst kürzlich beendete sie die Zusammenarbeit.
Schließlich braucht sie auch Zeit für ihre literarischen Alltagsmomente, aus denen sie beispielsweise bereits in der Monkey Bar las. Sie erschienen unter Anderem in den Anthologien "Schlaflos im Ellington" des Berliner Hotels Ellington und dem Buchprojekt "Unbehauste" für eine Geflüchteteninitiative.
"Die Geschichten, die ich schreibe, sind alle wirklich passiert!", verrät Linda Rachel Sabiers. Sie höre gerne zu, gucke und beobachte. Ihre Oma, zu der sie eine enge Beziehung hat und deren Weisheiten man des Öfteren in Lindas Texten nachlesen kann, bezeichnet sie daher gerne mal als "Hans Guckindieluft". Tatsächlich überfordere sie manchmal das Großgeschehen. Dann legt sie den Fokus auf Mikrodetails: "Die beruhigen und geben Bodenhaftung".
Überhaupt sei schreiben für sie sehr therapeutisch. Sie plage häufig eine gewisse Sehnsucht nach der Vergangenheit. Sie sei für sie ein Ort, der von ihr losgelöst ist. Überhaupt möge sie deshalb Orte in Berlin, die nicht so modern sind. "Ich war noch nie im Berghain!", sagt sie mit einem gewissen Trotz.
Vielleicht auch deshalb könne sie die ganze "Avokado-Chia-Geschichte" nicht mehr sehen. "Es langweilt mich. Ich steh viel mehr auf so eine schöne Leberwurststulle mit Cornichons. Ich mag es unprätentiös.“. Weil ihr Mann Noah so toll kocht, gehen sie mittlerweile ohnehin nur noch wenig zum Essen raus. "Er macht die weltbesten Pancakes, das schönste Frühstück gibt es bei Noah zuhause!"
Auf ihre Café-Besuche verzichtet sie deshalb aber nicht. Im Gegenteil: sie sind eine außerordentlich wichtige Routine. Jeden Morgen besucht sie vor dem Büro ein Café. "Für mich ist das essentiell. Ich werde richtig unleidig, wenn ich einmal darauf verzichten muss. Mit meinen Caféausgaben wäre der Berliner Flughafen zu einem Drittel bezahlt.", scherzt die Autorin.
Die Cafés spielen in ihren Texten eine große Rolle. Gerade wenn Menschen sich unbeobachtet fühlen, träten die kleinen individuellen Mimiken und Gestiken hervor. Diese Mikromomente einer Stadt möchte sie konservieren, und archiviert so immer auch ein Minimum des Berliner Stadtgeschehens.
In Berlin lebt und schreibt die geborene Kölnerin seit 2009. Vorher hatte sie es nach Tel Aviv gezogen. Aber Berlin, das sei für sie der Ort, und sie muss selbst ein bisschen über das Pathos ihrer Worte schmunzeln, an dem sie erwachsen geworden ist. "Mit viel Rücken-, aber auch mit viel Gegenwind."
Ihre erste Zeit in Berlin verbrachte sie, ziemlich untypisch für eine frisch zugezogenen Mittzwanzigerin, in Wilmersdorf. Bis heute zählt es mit Charlottenburg zu ihren Lieblingsbezirken. Das mache ihre Lieblingsorte auch zu Orten der persönlichen und der Stadtentwicklung. Und so befinden sich Lindas Lieblingsorte vor allem dort, wo sie mal gewohnt hat oder ihr Büro in der Nähe hatte.
Nähere Details zu den einzelnen Orten finden Sie über das Anklicken der orange markierten Namen!
Das alte französische Kino sei für Linda ein Ort des Glücks. Sie habe häufig eine gewisse Sehnsucht nach der Vergangenheit und nach Zeiten, in der sie noch nicht gelebt habe. Vermutlich, weil sie mit so vielen Geschichten groß geworden ist, die natürlich immer in der Vergangenheit spielen.
Cinema Paris |
Kurfürstendamm 211 | 10719 Berlin-Charlottenburg
"Wenn ich von der Siegessäule auf das Brandenburger Tor zufahre, bekomme ich jedes mal ein Kribbeln. Und das wird nie nicht so sein." Das sei wie in einer langjährigen Liebesbeziehung: Manchmal nerve einen der Andere, aber wenn dann diese eine geliebte Geste kommt, sei das der Höhepunkt der Gefühle. "Und so ist es auch mit Berlin."
Straße des 17. Juni |
Straße des 17. Juni | 10623 Berlin-Charlottenburg
Diese tolle Buchhandlung in der Knesebeckstraße gebe es schon sehr lange. Vor allem biete sie aber einen tollen Service. Egal welche Frage man stelle, mit wie diffusen Vorstellungen von dem, was man will, einem wird hier ganz sicher geholfen. Linda Rachel Sabiers liebe einfach diese altehrwürdige Buchhändlerinnenkultur.
Marga Schöller Buchhandlung |
Knesebeckstraße 33 | 10623 Berlin-Charlottenburg
Die Friedenauer Weinhandlung gibt es schon seit 25 Jahren und wurde mittlerweile von Lindas Mann Noah Erni übernommen. Hier kaufe sowohl der Franzose, der am Gepäckband arbeitet, als auch der Richter seinen Wein. Linda gefällt Friedenau als alte Literatengegend natürlich generell sehr. Kein Wunder also, dass sie auch über einige Kunden ihres Mannes Noah äußerst verzückt ist. Außerdem gefalle ihr die unprätentiöse Art des Weinverkaufs. Die Friedenauer Weinhandlung sei aber nicht nur ein Ort des Weinkaufens, sondern auch der Begegnung. "Noah ist der Viertelpsychologe", lacht sie. Auch hier schreibe sie gerne ihre Berlinimpressionen.
Friedenauer Weinhandlung |
Hauptstraße 80B | 12159 Berlin-Friedenau
Die Kaffeekirsche sei das einzige Café, in das Linda reinkomme und egal, wie lang die Schlange sei, der Barista mache ihr sofort ihren Cappuccino. Das sei das Äquivalent vom "Na, das Übliche" in der Kneipe. Damit habe sie ihr ultimatives Ziel erreicht, dass man in ihrem Stammcafé weiß, was sie will. Als ihr das das erste Mal passierte, dachte sie: "Jetzt bin ich angekommen, nach knapp zehn Jahren – That’s my moment."
Kaffeekirsche Roastery |
Böckhstrasse 30 | 10967 Berlin-Kreuzberg
Hier habe sie schon so einige Geburtstage gefeiert. Linda gefallen die moderaten Preise und sowieso manchmal einfach eine leckere Bulette. Außerdem gehört die Berliner Schnauze im Diener Tattersall einfach irgendwie dazu.
Diener Tattersall |
Grolmanstraße 47 | 10623 Berlin-Charlottenburg
Hier am Meyerinckplatz war früher mal das alte Kino Die Kurbel. Linda gefalle das Feeling hier im Kiez und an diesem Platz. Im Café Earlybean könne man auch mal in Ruhe allein sein. Das möge sie vor allem am Morgen sehr, wenn sie ihren Kaffee genießt.
Earlybean |
Clausewitzstraße 9 | 10629 Berlin-Charlottenburg
Der wohl begehrteste Platz im Kult-Café. Hier habe sie schon zu unmöglichen Tageszeiten einen Platz bekommen. Der Ort ist einfach bedeutend und irgendwie zeitlos.
Schwarzes Cafe |
Kantstraße 148 | 10623 Berlin-Charlottenburg
Die Bar Ora ist ganz im Stile der alten Apotheke gehalten, die hier einmal ansässig war. Außerdem gebe es diese alte Wanduhr, die stehe immer auf 09.45 Uhr. Diese Detailverliebtheit gefalle ihr, außerdem bediene es Lindas Drang zur Zeitlosigkeit.
Ora Farmery |
Oranienplatz 14 | 10999 Berlin-Kreuzberg